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Arbeitsrecht

Sic-non-Fall

Siehe dazu etwa BAG, Beschl. v. 21.01.2019 – 9 AZB 23/18:

„Ein sog. Sic-non-Fall liegt vor, wenn die Klage nur dann begründet sein kann, wenn das Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis einzuordnen ist und nach wirksamer Beendigung der Organstellung als solches fortbestand oder wieder auflebte. In diesem Fall eröffnet bei streitiger Tatsachengrundlage die bloße Rechtsansicht der Klagepartei, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis, den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen (BAG 3. Dezember 2014 – 10 AZB 98/14Rn. 17; 15. November 2013 – 10 AZB 28/13Rn. 21 mwN).“

LAG Berlin, Beschl. v. 13.12.2019 – 12 Ta 2007/19 m. Anm. von Bergwelt in DB 2020, 621 [aus den Entscheidungsgründen]:

„Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Ihre Vergütungsklage ist eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis, wie sie § 2a Abs. 1 Nr. 4a ArbGG den Gerichten für Arbeitssachen zuweist.

  1. a) Hierfür kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin ihre Einordnung als Arbeitnehmerin im Sinne von § 5 1 Satz 1 ArbGG zumindest schlüssig dargelegt hat. Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte folgt vielmehr aus dem Gesichtspunkt, dass die Klägerin ihre Arbeitnehmereigenschaft behauptet und der klageweise geltend gemachte Mindestlohnanspruch nur dann begründet sein kann, wenn die Klägerin als Arbeitnehmerin für die Beklagte tätig war.

Für solche Fälle der Doppelrelevanz der Arbeitnehmereigenschaft – mit einer Wendung aus der lateinischen Sprache als sic-non-Fälle bezeichnet – eröffnet die bloße Rechtsansicht der Klagepartei, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis, den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen (BAG, 21.01.2019 – 9 AZB 23/18, Rn 20 mwN; BAG, 24.04.1996 – 5 AZB 25/95, unter II 4 b). Diese Rechtsprechung rechtfertigt sich daraus, dass bei doppelrelevanter Arbeitnehmereigenschaft mit der Verneinung der Zuständigkeit der Rechtsstreit in der Sache praktisch entschieden ist. Ihre Beachtung vermeidet, dass es im Falle der fehlenden Arbeitnehmereigenschaft zur sinnlosen Verweisung des in der Sache aussichtlosen Rechtsstreites kommt. Auch Zahlungsklagen können sic-non-Fälle darstellen, wenn die allein in Betracht kommende Anspruchsgrundlage nur für Arbeitnehmer gilt (ErfK/Koch, 20. Aufl. 2020, ArbGG § 2 Rn. 37; GK-ArbGG/Schütz § 2 Rn 281a).

  1. b) Vorliegend ist ein Fall der Doppelrelevanz der Arbeitnehmereigenschaft gegeben.

Wie es sich aus Begründung und Berechnung der Klageforderung ergibt und wie die Klägerin in der Anhörung klargestellt hat, macht sie mit der Klage den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn geltend. Die Klage ist gerichtet auf die Differenz zwischen der vereinbarten und gewährten Vergütung und dem Mindestlohnsatz für jede als geleistet behauptete Arbeitsstunde.

Nach der gesetzlichen Regelung in § 1 MiLoG sind für den Mindestlohn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anspruchsberechtigt. Andere Personen, die nicht gemäß der näheren Bestimmung zum anspruchsberechtigten Personenkreis in § 22 MiLoG als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingeordnet werden können, können sich auf den gesetzlichen Anspruch aus § 1 MiLoG nicht berufen.

Somit gehört die Klage auf den gesetzlichen Mindestlohn zu den sic-non-Fällen (vgl. Clemens, in: HK-MiLoG, 2. Aufl. 2017, § 1 Rn 106). Den Mindestlohn muss der Arbeitnehmer vor den Arbeitsgerichten einklagen (Lakies, Mindestlohngesetz, 4. Aufl. 2015, § 1 MiLoG Rn 103). Bereits die Rechtsbehauptung des Mindestlohnklägers in Bezug auf ein im Anspruchszeitraum bestehendes Arbeitsverhältnis ist rechtswegbegründend (Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, MiLoG § 1 Rn. 227).

  1. c) Der Hinweis der Vorinstanz auf eine mögliche Anspruchsgrundlage außerhalb eines Arbeitsvertrags trifft auf vertragliche Entgeltansprüche zu. Anspruchsgrundlagen sind hier bei der Erbringung von Arbeit § 611a BGB und für die freie Mitarbeit also die Erbringung von Diensten außerhalb persönlicher Abhängigkeit § 611

Dabei kann ein vertraglicher Vergütungsanspruch daraus hergeleitet werden, dass die vertragliche Entgeltabrede als unwirksam angesehen und deshalb ein Entgelt in Höhe der üblichen Vergütung iSv. § 612 Abs. 2 BGB beansprucht wird. Beispiele sind die Klage auf weitere Entlohnung wegen Unwirksamkeit einer Vereinbarung über Überstundenabgeltung oder wegen Lohnwucher. Eine solche Klage hat die Klägerin aber nicht erhoben.

Die von der Klägerin erhobene Mindestlohnklage ist von vertraglichen Entgeltansprüchen zu unterscheiden. Die Klägerin macht einen gesetzlichen Anspruch, nämlich den Anspruch auf Mindestlohn geltend. Der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt (BAG 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 – Rn. 22) und in dem Falle, dass die vertragliche Vereinbarung den Anspruch auf Mindestlohn unterschreitet, zu einem Differenzanspruch gemäß § 3 MiLoG führt (BAG, 21.12.2016 – 5 AZR 374/16, Rn. 16).“

Siehe auch den Beitrag von Aladyev in NZA-RR 2022, 169 ff. [„Das Europäische Zivilverfahrensrecht und sic-non-Rechtsprechung“], zugleich Besprechung von LAG München, Urt. v. 25.11.2021 – 3 Sa 466/21.

(Letzte Aktualisierung: 06.04.2022)

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