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Arbeitsrecht

Rückwirkende Krankschreibung

Legt ein Arbeitnehmer zum Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit eine Krankschreibung vor, durch die eine Krankheit auch für eine Zeit vor der tatsächlichen Vorstellung beim Arzt bescheinigt wird (sog. rückwirkende Krankschreibung), ist dies aus Arbeitgebersicht zu Recht stets mit Vorsicht zu genießen. Denn wie soll ein Arzt eine Krankheit bescheinigen, die er nicht (mehr) taggenau selbst feststellen kann? Das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz (Urt. v. 04.03.2015 – 2 Sa 31/14) hat nun entschieden, dass der Beweiswert einer rückwirkenden ärztlichen Krankschreibung ausnahmsweise erhalten bleibt, wenn sich der Arbeitnehmer durchgehend bei dem das spätere Attest ausstellenden Arzt in Behandlung befand und dieser regelmäßig zur Vorlage bei der Krankenkasse Krankengeldauszahlscheine ausgestellt hat. Die Ausnahme bestätigt die Regel, dass es rückwirkenden Krankschreibungen an Glaubwürdigkeit mangelt.

Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Frage, ob die Arbeitnehmerin in einem bestimmten (längeren) Zeitraum ab dem 2. Januar 2013 arbeitsunfähig krank war. Der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit mittels Folgebescheinigungen wies eine zeitliche Lücke auf. Die Arbeitnehmerin hatte daher ergänzend zu den Folgebescheinigungen die lückenlosen Krankengeldauszahlscheine sowie eine ärztliche Bestätigung vorgelegt, die für den gesamten zurückliegenden Zeitraum ausgestellt worden war. Die Bestätigung vom 3. Februar 2014 lautete wörtlich:

„Die oben genannte Patientin befindet sich seit dem 02.01.2013 regelmäßig in unserer fachärztlichen Behandlung und ist ab diesem Datum durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.“

Der Arbeitgeber hatte die Arbeitsunfähigkeit bestritten und der Bestätigung den erforderlichen Beweiswert abgesprochen.

Die Entscheidung des LAG

Das LAG hat dagegen entschieden, dass die Arbeitnehmerin ihre lückenlose Arbeitsunfähigkeit trotz der rückwirkenden Bescheinigung ordnungsgemäß nachgewiesen hatte. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass sich die Arbeitnehmerin durchgehend bei dem die Bestätigung ausstellenden Arzt in Behandlung befunden und dieser auch regelmäßig die Auszahlungsscheine für die Krankenkasse erstellt hatte. Daraus ergab sich die Legitimation für den Arzt, auch nachträglich eine durchgängig bestehende Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen.

Erläuterungen

Die Entscheidung betrifft ein in der Praxis sehr häufig auftretendes Problem, zumal ein Arbeitnehmer nach dem gesetzlichen Regelfall gem. § 5 Abs 1 EFZG erst nach einer Krankheitsdauer von mindestens drei Kalendertagen eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen hat. Demzufolge kommt es oft vor, dass der Arzt beispielsweise erst am dritten Tag aufgesucht und gebeten wird, die Arbeitsunfähigkeit rückwirkend zu bescheinigen. Darf der Arzt dies, obwohl er den Patienten erst am dritten Tag der angeblichen Krankheit zu Gesicht bekommt? Er darf – allerdings nur im Ausnahmefall. Nach § 5 Abs. 3 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien ist eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu zwei Tagen zulässig.

Wird die Bescheinigung für eine längere Zeit als zwei Tage rückwirkend ausgestellt, kann der Arbeitgeber ihren Beweiswert mit Recht anzweifeln, es sei denn, es sprechen zusätzliche Umstände dafür, dass der Arzt verlässliche Kenntnis über die in der Vergangenheit liegende Krankheitsgeschichte des Patienten hat. Diese Umstände waren im vorliegenden Fall aus der Sicht des LAG ausnahmsweise gegeben, da sich die Arbeitnehmerin nachweislich während des gesamten streitigen Zeitraums in der ärztlichen Behandlung des bescheinigenden Arztes befunden hatte.

Ergänzende Praxishinweise

Viele Arbeitgeber sehen sich trotz in Einzelfällen bestehender Zweifel scheinbar ohnmächtig der Vorlage von Krankschreibungen gegenüber. Dabei lohnt es sich durchaus, die Daten der Ausstellung jeder Arbeitsunfähigkeits- und Folgebescheinigung sowie des Krankheitsbeginns stets zu überprüfen, denn sie können unter Umständen dafür sprechen, dass eine Krankheit nur vorgetäuscht ist. Der Grund ist, dass die notwendigen medizinischen Feststellungen hinsichtlich einer Arbeitsunfähigkeit für einen länger zurückliegenden Zeitraum als zwei Tagen grundsätzlich nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit getroffen werden können. Daher ist im Fall einer nachwirkenden Krankschreibung über zwei Tage hinaus in der Regel von der Erschütterung des Beweiswertes eines solchen Attestes auszugehen (vgl. auch LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 30.05.2008 – 3 Sa 195/07).

Was zudem viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht kennen, ist die auch nach Ablauf der 6-wöchigen Entgeltfortzahlung fortbestehende Pflicht des Arbeitnehmers zur lückenlosen Vorlage von Folgebescheinigungen. Verletzt der Arbeitnehmer schuldhaft die sich aus § 5 Abs 1 EFZG ergebenden Anzeige- und Nachweispflichten, so rechtfertigt dies nach vorheriger Abmahnung eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der von einem Arzt zur Vorlage bei der Krankenkasse ausgestellte „Krankengeldauszahlschein“ ist arbeitsrechtlich nur dann als ordnungsgemäßer Nachweis der Arbeitsunfähigkeit anzusehen, wenn sich hieraus das voraussichtliche Ende der Arbeitsunfähigkeit ergibt; ein Vermerk, der Arbeitnehmer sei „weiter arbeitsunfähig“, ist insoweit nicht ausreichend (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 04.04.2007 – 7 Sa 108/07).

(Letzte Aktualisierung: 26.10.2015)

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