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Aut-aut-Fall
Unter einem aut-aut-Fall versteht man einen Fall, bei dem der betreffende Beschäftigte das durch ihn verfolgte Klageziel (Beispiel: Anspruch auf Arbeitsvergütung) sowohl bei den ordentlichen Gerichten wie auch vor den Arbeitsgerichten verfolgen kann, abhängig davon, ob es sich um ein Dienst- oder um ein Arbeitsverhältnis handelt.
BAG, Beschl. v. 03.11.2020 – 9 AZB 47/20 m. Anm. Weber in DB 2021, 964:
„a) Die Fallgruppen „sic non“, „aut aut“ und „et et“ hat die Rechtsprechung im Hinblick auf die Frage entwickelt, welche Anforderungen an das klägerische Vorbringen zur Begründung der Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen in Abgrenzung zu den ordentlichen Gerichten zu stellen sind (vgl. BAG 21. Januar 2019 – 9 AZB 23/18 – Rn. 20, BAGE 165, 61). In den sic-nonFällen kann der eingeklagte Anspruch ausschließlich auf eine Anspruchsgrundlage gestützt werden, deren Prüfung gemäß § 2 ArbGG in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fällt (vgl. BAG 24. April 2018 – 9 AZB 62/17 – Rn. 14). Die für die Rechtswegzuständigkeit maßgebenden Tatsachen sind gleichzeitig die Voraussetzung für die Begründetheit der Klage (sog. doppelrelevante Tatsachen bei einer einzigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, vgl. BAG 1. August 2017 – 9 AZB 45/17 – Rn. 19, BAGE 160, 22). In derartigen Fällen eröffnet bei streitiger Tatsachengrundlage die bloße Rechtsansicht der klagenden Partei, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis, den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen (vgl. BAG 9. April 2019 – 9 AZB 2/19 – Rn. 12). Kommen dagegen für einen Anspruch sowohl arbeitsrechtliche als auch bürgerlich-rechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht, kann die bloße Rechtsansicht des Klägers, er sei Arbeitnehmer, die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nicht begründen (vgl. BAG 31. August 1998 – 5 AZB 21/98 – unter II 2 a der Gründe).
- bb) Der Klageerfolg im Streitfall hängt nicht davon ab, ob der Kläger für die Beklagte als Arbeitnehmer oder aber als freier Dienstnehmer tätig geworden ist. Die für den Rechtsweg entscheidende Frage, ob der die Parteien verbindende Vertrag unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Durchführung als Arbeitsvertrag oder als freier Dienstvertrag einzuordnen ist, hat für die Begründetheit der Klage keine Bedeutung. Denn der vom Kläger erhobene Provisionsanspruch ist im einen wie im anderen Fall allein danach zu beurteilen, ob die Beklagte die Tätigkeit des Klägers zu provisionieren hatte und die von der Beklagten vorgenommenen Stornoabzüge von den vertraglichen Absprachen der Parteien gedeckt sind.
- d) In einem sog. „aut-aut-Fall“ wie dem vorliegenden, in dem der Kläger die Klageforderung aus einem Rechtsverhältnis herleitet, das er für ein Arbeitsverhältnis, die Beklagte dagegen für das Rechtsverhältnis eines weisungsfrei tätigen Handelsvertreters hält, ist ebenso wie in einem sog. „et-et-Fall“ (zur Abgrenzung siehe BAG 24. April 1996 – 5 AZB 25/95 – zu B II 3 b und c der Gründe, BAGE 83, 40) für die Beurteilung, ob der Rechtsstreit in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fällt, nicht allein auf das Klägervorbringen abzustellen. Bestreitet die beklagte Partei – wie im vorliegenden Fall – tatsächliche Umstände, die für die rechtliche Einordnung des Rechtsverhältnisses von Bedeutung sind, hat das zur Entscheidung berufene Gericht die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen gegebenenfalls im Wege der Beweisaufnahme festzustellen.“
Siehe dazu auch Hessisches LAG, Beschl. v. 14.02.2019 – 10 Ta 350/18 [Leitsatz zu 1.)]:
„Bei einem sog. `aut-aut-Fall` reicht die schlüssige und substantiierte Behauptung der Arbeitnehmereigenschaft aus, bewiesen werden muss sie nicht.“
In den Entscheidungsgründen heißt es:
„Im vorliegenden Fall liegt kein sog. sic-non-Fall vor, sondern ein aut-aut-Fall vor, denn der Vergütungsanspruch kann sowohl auf einem freien Mitarbeiterverhältnis als auch auf einem Arbeitsverhältnis beruhen. Es ist in diesem Fall umstritten, ob der Kläger zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft einen schlüssigen Vortrag halten muss oder ob die die Arbeitnehmereigenschaft begründenden Umstände bewiesen sein müssen; das BAG hat diese Frage zuletzt offen gelassen (vgl. BAG 8. September 2015 – 9 AZB 21/15 – Rn. 19, NZA 2015, 1342). Die Kammer folgt der Ansicht, die lediglich einen schlüssigen Sachvortrag verlangt (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern 3. November 2016 – 3 Ta 29/16 – NZA-RR 2017, 155; Hess. LAG 20. Juli 2018 – 10 Ta 183/18 – n.v.; ErfK/Koch 19. Aufl. § 2 ArbGG Rn. 38; BeckOK ArbR/Clemens Stand: 01.06.2018 § 2 ArbGG Rn. 10; a.A. GMP/Schlewing 9. Aufl. § 2 Rn. 168). Bei der Arbeitnehmereigenschaft handelt es sich um eine doppeltrelevante Tatsache. Es würde das Verfahren über die Rechtswegprüfung überfrachten, wenn vorab umfangreiche Beweisaufnahmen durchgeführt werden müssten.“
(Letzte Aktualisierung: 13.08.2021)
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Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt