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Arbeitszeiterfassung
Es ist in vielen Betrieben üblich, die durch die Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden durch geeignete Geräte, ggf. digital, aufzuzeichnen. Dabei sind unter Umständen zahlreiche gesetzliche Bestimmungen zu beachten. Für die Mitbestimmung durch den Betriebsrat ist § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) von Bedeutung.
Unserer Meinung nach kann ein Arbeitgeber ein System zur Arbeitszeiterfassung auch ohne Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer kraft seines Weisungsrechts einführen. Davon unberührt bleibt die angesprochenen Mitbestimmung des Betriebsrats (s. o.).
Zu beachten ist im Übrigen das Urteil des EuGH v. 14.05.2019 – C-55/18). Darin fordert der Gerichtshof alle Mitgliedstaaten der EU auf, Regelungen dafür zu treffen, dass die Arbeitszeit sämtlicher Arbeitnehmer aufgezeichnet wird. Wenn sich die Bundesrepublik Deutschland daran hält, könnte zukünftig eine branchenunabhängige Pflicht der Arbeitgeber zur Aufzeichnung der Arbeitszeit sämtlicher bei ihnen beschäftigter Arbeitnehmer bestehen. Einstweilen existiert eine Umsetzung des genannten Urteils in das Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht.
Siehe auch ArbG Emden, Urt. v. 20.02.2020 – 2 Ca 94/19. In den Leitsätzen der Entscheidung des ArbG Emden heißt es:
„1) Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung (vgl. EuGH, Urteil vom 14.05.2019, Rs. C-55/18 [CCOO]) ergibt sich aus einer unmittelbaren Anwendung von Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta.
2) Die in Leitsatz 1) genannte Verpflichtung trifft den Arbeitgeber, ohne dass es hierzu einer Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber oder einer richtlinienkonformen Auslegung des § 16 Abs. 2 ArbZG bedürfte.
3) Bei der Verpflichtung des Arbeitgebers, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen, handelt es sich auch um eine vertragliche Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Verletzt der Arbeitgeber diese vertragliche Nebenpflicht, gilt der unter Vorlage von Eigenaufzeichnungen geleistete Vortrag des Arbeitnehmers, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat, regelmäßig gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
4) Die im Rahmen eines sogenannten Bautagebuches in Anwendung der Regelungen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) vom Arbeitgeber vorgenommenen Aufzeichnungen genügen den Anforderungen eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung regelmäßig nicht.“
Die Entscheidung des ArbG Emden ist sehr umstritten! Unter anderem Thüsing kritisiert das Urteil und lehnt eine aus Art. 31 Abs. 2 EU-GRC abgeleitete Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung ab (Thüsing, DB 2020, 1343 ff.). Uns erscheint das Urteil gleich in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft zu sein. Wir sind der Überzeugung, dass die erwähnte Entscheidung des EuGH allein die Mitgliedstaaten der EU verpflichtet, nicht aber den einzelnen Arbeitgeber. Letztere sind nicht zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung angehalten. Das ändert sich auch nicht durch die seitens des Gerichts in Bezug genommene Bestimmung der EU-GRC, nämlich Art. 31 Abs. EU-GRC. Auch diese Norm richtet sich nicht an einzelne Arbeitgeber, sondern an die Mitgliedstaaten der EU. Eine Drittwirkung ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Überdies hat das Arbeitsgericht Emden die Regeln der Darlegungs- und Beweislast verkannt. Nach unserer Auffassung konnte der Arbeitnehmer der im Ausgangspunkt ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast nicht allein dadurch genügen, dass er selbstgefertigte Aufzeichnungen über die angeblich durch ihn abgeleistete Arbeitszeit vorgelegt hatte. Nicht Nichtberücksichtigung der sog. Bautagebücher durch das Gericht erfolgte ohne rechtlich nachvollziehbaren Grund.
(Letzte Aktualisierung: 26.06.2020)
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Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt