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Familienrecht

Erwerbsobliegenheit

Der Unterhaltsverpflichtete ist gehalten, seine Arbeitskraft angemessen zur Erzielung von Einkommen einzusetzen. Die Anforderungen, die hierbei an diesen Einsatz gestellt werden, sind abhängig von dem Grund der Unterhaltsverpflichtung. Besonders hoch sind die Anforderungen bei der Verpflichtung zu Unterhalt für minderjährige Kinder (siehe unsere Ausführungen zum Stichwort gesteigerte Erwerbsobliegenheit).

Verstößt der Unterhaltsverpflichtete gegen diese Obliegenheit, so kann ihm bei der Berechnung des Unterhalts fiktives Einkommen zugerechnet werden.

Auch den Unterhaltsberechtigten kann eine Erwerbsobliegenheit treffen. Denn auch er ist im Rahmen der Möglichkeiten verpflichtet, die Belastungen des Unterhaltsverpflichteten so gering wie möglich zu halten. Demnach trifft minderjährige Kinder naturgemäß keine Erwerbsobliegenheit, volljährige Kinder unter Umständen schon. Bei unterhaltsbedürftigen Eltern besteht nach Erreichen der Regelaltersgrenze keine Obliegenheit mehr.

Verstößt der Unterhaltsverpflichtete gegen diese Obliegenheit, so kann auch ihm bei der Berechnung des Unterhalts fiktives Einkommen bedarfsdeckend  zugerechnet werden.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 03.08.2020 – 9 UF 39/20, NJW-Spezial 2020, 614 [aus den Entscheidungsgründen]:

„Der Antragstellerin ist kein Erwerbsobliegenheitsverstoß anzulasten und daher auch kein fiktives Einkommen zuzurechnen. Zu Recht hat das Amtsgericht unter Beachtung der Vorschrift des § 1361 Abs. 2 BGB ausgeführt, dass im vorliegenden Fall die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von der Antragstellerin nicht erwartet werden konnte. Nach dieser Vorschrift kann der nicht erwerbstätige Ehegatte nur dann darauf verwiesen werden, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen, wenn dies von ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen, insbesondere wegen einer früheren Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe, und nach den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Ehegatten erwartet werden kann.

a. Trennungsjahr

Einen im Zeitpunkt der Trennung längere Zeit nicht erwerbstätig gewesenen Ehegatten trifft im ersten Trennungsjahr in der Regel keine Erwerbsobliegenheit (allg. Ansicht, z.B. OLG Hamm FamRZ 2018, 678), so auch hier. Daher käme eine Erwerbsobliegenheit frühestens für die Zeit ab Juni 2019 mit Ablauf des Trennungsjahres in Betracht.

b. Individualverhältnisse

Aber auch für die folgenden rd. 4,5 Monate bis zur Rechtskraft der Scheidung besteht keine Erwerbsobliegenheit der Antragstellerin.

Der Umfang der regelmäßig erforderlichen Erwerbstätigkeit und eventuelle Abweichungen davon bestimmen sich vielmehr nach den individuellen Verhältnissen des jeweils betroffenen Ehegatten (Viefhues in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 1361 BGB – Stand: 15.04.2020 – Rn. 759). Vorliegend spricht gegen eine (unmittelbar nach Ablauf des Trennungsjahres einsetzende) Erwerbsobliegenheit der Antragstellerin, dass die Ehe bei Trennung bereits rd. 20 Jahre bestand, die Antragstellerin bereits vor der Trennung längere Zeit nicht arbeitete, zum Zeitpunkt der Trennung bereits über 61,5 Jahre alt war und daher auch in realer Hinsicht die Aussicht auf Erlangung einer Arbeitsstelle deutlich unrealistisch erschien. In diesem Kontext ist zudem zu beachten, dass die Antragstellerin seit dem 1. November 2019 sich im Altersruhestand befindet. Die Phase nach Beendigung des ALG I – Bezuges bis hin zum Eintritt in den Altersruhestand stellt sich daher als bloße Übergangsphase dar, die auch von ihrer Länge her keine Erwerbsobliegenheit hervorruft.

c. vermeintlich krankhafter Zustand

Erst recht folgt die Unzumutbarkeit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit daraus, dass nach der Behauptung des Antragsgegners die Antragstellerin an einer manisch-depressiven Psychose leidet (wobei sich die Beteiligten mit derartigen Vorwürfen wechselseitig überziehen). Wäre dies der Fall, wären eventuelle Verpflichtungen der Antragstellerin auf den Einsatz eigener Arbeitskraft (bzw. eigenen Stammvermögens, vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen) angesichts des gesundheitlichen Zustandes sowie des unmittelbar nach der Trennung einsetzenden hier streitgegenständlichen Trennungsunterhaltszeitraumes nicht angezeigt.“

OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.12.2019 – 13 UF 74/15, NZFam 2020, 345:

„Die Erwerbsobliegenheit eines unterhaltsberechtigten Ehegatten kann sich unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe bei Geburt und Kindererziehung mit einer erheblichen Berufspause zunächst auf längere Fortbildungen zum Wiedereinstieg in den gelernten Beruf richten (hier anderthalb Jahre für eine Erzieherin bei vieljähriger Berufspause).“

(Letzte Aktualisierung: 27.10.2020)

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Daniela Wackerbarth
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Familienrecht

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