Zur (Mit-)Haftung im Falle einer deutlich über der Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen liegenden Ausgangsgeschwindigkeit
Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig hat entschieden, dass die Betriebsgefahr wegen einer deutlichen Überschreitung der Richtgeschwindigkeit nicht vollständig zurücktritt (OLG Schleswig, Urt. v. 15.11.2022 – 7 U 41/22). In den Entscheidungsgründen heißt es:
„Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs wegen der deutlichen Überschreitung der Richtgeschwindigkeit nicht zurücktritt, sondern die Beklagten eine Mithaftung am Unfall trifft. Dies wurde von den Beklagten mangels der Einlegung einer eigenen Berufung gegen das Urteil auch akzeptiert.
Die deutlich über der Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 km/h liegende Ausgangsgeschwindigkeit bei der Haftungsabwägung ist als betriebsgefahrerhöhend zu berücksichtigen, denn durch sie vergrößert in haftungsrelevanter Weise die Gefahr, dass sich andere Verkehrsteilnehmer auf diese Fahrweise nicht einstellen und insbesondere die Geschwindigkeit unterschätzen (vgl. Senat, Urteil vom 30.07. 2009 – 7 U 12/09, NJOZ 2010, 665; OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.11.2017 – I-1 U 44/17, NJW-RR 2018, 788, 790, Rn. 21 – zitiert nach beck-online). Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des Oberlandesgerichts Hamm (Urteil v. 25.11.2010 − 6 U 71/10, NJW-RR 2011, 464) an, wonach bei einer Überschreitung um 30 km/h die Betriebsgefahr im Regelfall nicht mehr zurücktritt, weil die Geschwindigkeit dann deutlich über der Richtgeschwindigkeit liegt.
Die Mithaftung der Beklagten am Unfall ist hiernach bei einer Überschreitung der Richtgeschwindigkeit um ca. 70 km/h mit 25 % anzusetzen. Die vom Landgericht insoweit angesetzten 10 % berücksichtigen die deutliche Überschreitung der Richtgeschwindigkeit nicht ausreichend. Soweit der Senat selbst in einer, eine gänzlich andere Sachverhaltskonstellation betreffenden, Entscheidung (Urteil vom 30.03.2022 – 7 U 139/20, BeckRS 2022, 11612) eine nicht zurücktretende Betriebsgefahr mit lediglich 10 % bewertet hat (kritisch hierzu Bachmor, NZV 2022, 532), war dies lediglich dem Umstand geschuldet, dass dem Senat die Heraufsetzung der Quote aufgrund der Grundsätze des Berufungsrechts verwehrt war (Verbot der ´reformatio in peius´).