Zur Darlegungs- und Beweislast bei einem möglichen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden (BAG, Urt. v. 12.10.2022 – 5 AZR 135/22 [aus den Entscheidungsgründen]):
„II. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann der Auskunftsanspruch nicht als unbegründet abgewiesen werden.
1. Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend von den in der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen eines auf § 242 BGB gestützten Auskunftsbegehrens ausgegangen.
a) Grundsätzlich besteht keine nicht aus besonderen Rechtsgründen abgeleitete Pflicht zur Auskunftserteilung für die Parteien des Rechtsstreits. Die Zivilprozessordnung kennt keine – über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende – Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei (BAG 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19 – Rn. 29 mwN, BAGE 170, 327).
b) Von diesem Grundsatz abweichend kann allerdings materiell-rechtlich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Auskunftspflicht bestehen.
aa) Dafür müssen es die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den bestehenden Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die Auskunft unschwer geben kann, die erforderlich ist, um die Ungewissheit zu beseitigen (vgl. BAG 25. November 2021 – 8 AZR 226/20 – Rn. 71 mwN; ebenso BGH 18. Februar 2021 – III ZR 175/19 – Rn. 44 mwN). Zudem darf die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess durch materiell-rechtliche Auskunftsansprüche nicht unzulässig verändert werden (vgl. BAG 24. Februar 2021 – 10 AZR 8/19 – Rn. 40, BAGE 174, 193; vgl. insgesamt zum Gleichbehandlungsgrundsatz Staudinger/Richardi/Fischinger [2020] § 611a Rn. 1045).
bb) Der Auskunftsanspruch nach § 242 BGB setzt im Einzelnen voraus: (1) das Vorliegen einer besonderen rechtlichen Beziehung, (2) die dem Grunde nach feststehende oder (im vertraglichen Bereich) zumindest wahrscheinliche Existenz eines Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner, (3) die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte sowie (4) die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner (BAG 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19 – Rn. 32 mwN, BAGE 170, 327; Staudinger/Looschelders/Olzen [2019] § 242 Rn. 605; MüKoBGB/Krüger 9. Aufl. § 260 Rn. 12 ff.). Schließlich dürfen (5) durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden (BAG 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19 – aaO; BGH 17. April 2018 – XI ZR 446/16 – Rn. 24).
Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein Auskunftsanspruch des Klägers komme nicht in Betracht, weil es für den Leistungsanspruch auf die beanspruchten Gehaltserhöhungen keine materiell-rechtliche Grundlage gebe, nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Der Kläger hat den auf der zweiten Stufe verfolgten Leistungsanspruch, zu dessen Bezifferung er die streitgegenständlichen Auskünfte verlangt, zuletzt nur noch auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt. Dieser wird inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt (BAG 27. April 2021 – 9 AZR 662/19 – Rn. 17). Er gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung (st. Rspr., vgl. BAG 3. Juni 2020 – 3 AZR 730/19 – Rn. 42, BAGE 171, 1; 27. April 2016 – 5 AZR 311/15 – Rn. 35). Trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei der Zahlung der Arbeitsvergütung anwendbar, wenn diese durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben wird oder der Arbeitgeber die Leistung nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er Voraussetzungen oder Zwecke festlegt (BAG 27. April 2016 – 5 AZR 311/15 – aaO). Die Begünstigung einzelner Arbeitnehmer erlaubt noch nicht den Schluss, diese bildeten eine Gruppe. Eine Gruppenbildung liegt erst dann vor, wenn die Besserstellung nach bestimmten Kriterien vorgenommen wird, die bei allen Begünstigten vorliegen (BAG 15. Mai 2013 – 10 AZR 679/12 – Rn. 40; 20. März 2013 – 10 AZR 8/12 – Rn. 39). Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist auch dann anwendbar, wenn der Arbeitgeber – nicht auf besondere Einzelfälle beschränkt – nach Gutdünken oder nach nicht sachgerechten oder nicht bestimmbaren Kriterien Leistungen erbringt (BAG 27. April 2021 – 9 AZR 662/19 – Rn. 17).
b) Die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz liegt grundsätzlich beim anspruchstellenden Arbeitnehmer. Nach den allgemeinen Regeln der Normenbegünstigung hat er die Voraussetzungen des Anspruchs auf Gleichbehandlung darzulegen und daher vergleichbare Arbeitnehmer zu nennen, die ihm gegenüber vorteilhaft behandelt werden. Ist dies erfolgt, muss der Arbeitgeber – wenn er anderer Auffassung ist – darlegen, wie groß der begünstigte Personenkreis ist, wie er sich zusammensetzt, wie er abgegrenzt ist und warum der klagende Arbeitnehmer nicht dazugehört (BAG 22. Januar 2009 – 8 AZR 808/07 – Rn. 37; 29. September 2004 – 5 AZR 43/04 – zu II 3 a der Gründe; Staudinger/Richardi/Fischinger [2020] § 611a Rn. 1044; ErfK/Preis 22. Aufl. BGB § 611a Rn. 605). Der Arbeitgeber hat die nicht ohne Weiteres erkennbaren Gründe für die von ihm vorgenommene Differenzierung offenzulegen und jedenfalls im Rechtsstreit mit einem benachteiligten Arbeitnehmer so substantiiert darzutun, dass durch das Gericht beurteilt werden kann, ob die Gruppenbildung auf sachlichen Kriterien beruht (BAG 12. August 2014 – 3 AZR 764/12 – Rn. 27; 15. Januar 2013 – 3 AZR 169/10 – Rn. 30, BAGE 144, 160).
c) Hiervon ausgehend hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft angenommen, der Kläger habe das Vorhandensein einer Gruppe mit ihm vergleichbarer, im Verhältnis zu ihm vorteilhaft behandelter Arbeitnehmer nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Dieser Würdigung liegt eine unzutreffende Verteilung der Darlegungslast zugrunde. Hierin liegt ein materieller Rechtsfehler, der im Revisionsverfahren ohne Verfahrensrüge von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BAG 7. Mai 2020 – 2 AZR 692/19 – Rn. 70; 28. Mai 2014 – 7 AZR 276/12 – Rn. 32).
aa) Indem der Kläger auf seine Zugehörigkeit zu den ´leitenden Führungskräften´ gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 des Arbeitsvertrags und auf den Erhalt einer Leistung für ´leitende Angestellte´ ausweislich der Zusatzvereinbarung vom 25. Juni 2014 verwiesen hat, hat er behauptet, zu den ´Leitenden Angestellten´ iSd. Personalstammdaten zu zählen. Aus dieser Gruppe hat er 13 nach seinem Vortrag vergleichbare Personen benannt, die im streitgegenständlichen Zeitraum von 2017 bis 2019 Gehaltserhöhungen erhalten haben. Damit hat er die Voraussetzungen für den begehrten Auskunftsanspruch (oben Rn. 23) schlüssig dargelegt: Zwischen den Parteien besteht ein Arbeitsverhältnis als besondere rechtliche Beziehung, aus welcher dem Grunde nach ein Leistungsanspruch gegen die Beklagte wahrscheinlich ist. Mit den hierfür verlangten weitergehenden Darlegungen hat das Landesarbeitsgericht die den Kläger treffende Darlegungslast verkannt. Weitere Ausführungen können vom Kläger erst nach erheblichem (Gegen-)Vortrag (§ 138 Abs. 2 ZPO) der Beklagten verlangt werden. Der Kläger war weiterhin in einer entschuldbaren Ungewissheit über Bestehen und Umfang seiner Rechte, weil er keine genaue Kenntnis von den gewährten Gehaltssteigerungen hatte und haben konnte. Es ist – anders als das Arbeitsgericht mit Blick auf seine frühere Tätigkeit rechtsfehlerhaft gemutmaßt hat – weder konkret behauptet noch ersichtlich, dass sich der Kläger die notwendigen Informationen selbst auf zumutbare und rechtmäßige Weise beschaffen konnte. Der Beklagten ist die Auskunftserteilung zumutbar, die allgemeinen Beweisgrundsätze werden nicht unterlaufen, weil nach Auskunftserteilung die oben (zu II 2 b) dargestellte Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zu beachten ist.
bb) Unter Berücksichtigung des Vortrags und der Kenntnismöglichkeiten des im streitgegenständlichen Zeitraum freigestellten Klägers oblag es der Beklagten, seinen Behauptungen zur Gruppenbildung substantiiert entgegenzutreten und darzulegen, wie groß der von ihr begünstigte Personenkreis ist, wie er sich zusammensetzt, wie er abgegrenzt ist und warum der Kläger nicht dazugehört. Dies hat sie nicht getan. Sie hat zwar mit dem Verweis auf unterschiedliche Hierarchieebenen, Managementlevel und Gehaltsbänder mögliche Abgrenzungskriterien angesprochen, aber nicht erläutert, dass oder inwiefern diese Aspekte bei der vorgenommenen Gruppenbildung eine Rolle spielen. Ohne die Darlegung der hierfür maßgeblichen Kriterien ist nicht erkennbar, inwieweit es für die Gruppenzugehörigkeit des Klägers von Bedeutung ist, dass er nach dem Vortrag der Beklagten dem Managementlevel 5 zugeordnet sein soll. Ob er deswegen nicht mit Personen vergleichbar ist, die auf Managementlevel 4 bzw. 3 tätig sind, lässt sich ohne Offenlegung der Gründe für die vorgenommene Differenzierung nicht feststellen. Ebenso wenig kann beurteilt werden, ob eine – unterstellte – Gruppenbildung basierend auf Managementleveln sachlichen Kriterien entsprach. Weiterer Vortrag des Klägers zu den Funktionen der von ihm benannten Personen ist erst erforderlich, nachdem die Beklagte erklärt hat, inwieweit es bei der Gruppenbildung auf die jeweils wahrgenommene Funktion ankommt.
cc) Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich auch nicht, dass der Anwendungsbereich des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes vorliegend bereits ausgeschlossen ist, weil die Gehaltserhöhungen im streitgegenständlichen Zeitraum nicht nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip, bei dem sie Voraussetzungen oder Zwecke festlegt hatte, gewährt wurden.
(1) Die Beklagte hat zwar individuelle Vertragsverhandlungen mit den Empfängern der Gehaltserhöhungen im streitgegenständlichen Zeitraum behauptet, diese aber nicht im Einzelnen geschildert. Indem sie eine willkürliche Ungleichbehandlung des Klägers bestritten hat, hat sie vielmehr impliziert, für die gewährten Gehaltserhöhungen sachliche Gründe zu haben. Die Beklagte nennt selbst zwei übergreifende Kriterien für die Gehaltserhöhungen, wenn sie vorträgt, diese seien unter anderem aufgrund von Leistungen der Arbeitnehmer sowie bei einer Einordnung im unteren Bereich des jeweiligen Gehaltsbands erfolgt.
(2) Die nach dem Vortrag der Beklagten unterbliebene Gehaltserhöhung an mit dem Kläger vergleichbare Arbeitnehmer steht dem Vorhandensein einer allgemeinen Regel ebenfalls nicht entgegen. Zum einen ist eine willkürliche Schlechterstellung dieser Arbeitnehmergruppe im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern hierdurch nicht ausgeschlossen. Zum anderen ist die Behauptung der Beklagten unsubstantiiert, solange sie nicht darlegt, aufgrund welcher Kriterien der Kläger mit den Arbeitnehmern ohne Gehaltserhöhung vergleichbar ist. Zudem hat die Beklagte nicht behauptet, alle mit dem Kläger vergleichbaren Arbeitnehmer hätten keine Gehaltserhöhungen erhalten.
(3) Der Annahme einer einheitlichen Regel bei der Bemessung der Gehaltserhöhungen steht schließlich auch nicht entgegen, dass der jeweilige Vorgesetzte über die Höhe der Gehaltsanpassung entschieden hat. Die Vorgesetzten verfügten nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Klägers über ein festgelegtes Budget und legten nach dem Vortrag der Beklagten unter anderem die von ihr genannten Kriterien zugrunde.“