Ist eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung einer Gesellschaft (hier: GmbH) gegeben, wenn ein Geschäftsführers ohne Prüfung von dessen Qualifikation eingesetzt wurde?
Nein, meint das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf (OLG Düsseldorf v. 14.11.2022 – 12 W 17/22). Allein die Gründung einer GmbH, bei der ein Gesellschafter treuhänderisch und entgeltlich Geschäftsanteile für eine andere (nicht bekannte) Person hält, und auf deren Weisung einen Geschäftsführer einsetzt, dessen Qualifikation er nicht überprüft hat, stellt nach Auffassung des Gerichts keine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung dar.
In den Entscheidungsgründen heißt es:
„1. Soweit der Antragsteller mit der Klage einen Schaden der Gläubiger der Schuldnerin geltend machen möchte, die mit ihren Forderungen gegen die Schuldnerin ausgefallen sind, ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Verursachung eines vom Insolvenzverwalter geltend zu machenden Gesamtschadens i.S.d. § 92 InsO bereits nicht ersichtlich ist.
Nach § 92 S. 1 InsO können Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den diese gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben (Gesamtschaden), während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Damit wird keine Anspruchsgrundlage normiert, sondern die Einziehung einer aus einer anderen Rechtsgrundlage herrührenden Forderung geregelt. Die Vorschrift erfasst nur Schadensersatzansprüche, die auf einer Verkürzung der Insolvenzmasse beruhen, und bezweckt, eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger aus dem Vermögen des wegen Masseverkürzung haftpflichtigen Schädigers zu sichern. Maßgebliche Voraussetzung des Einziehungsrechts ist folglich eine Verminderung der Insolvenzmasse, die sich in einer Verringerung der Aktiva oder in einer Vermehrung der Passiva manifestieren kann. Ein Gesamtschaden ist ein Schaden, den der einzelne Gläubiger ausschließlich aufgrund seiner Gläubigerstellung und damit als Teil der Gesamtheit der Gläubiger erlitten hat; die Verkürzung der Masse muss also diese treffen. Das schädigende Verhalten, aus dem der Schädiger in Anspruch genommen wird, muss durch die Masseverminderung zu einer geringeren Quote für die (Alt-)Gläubiger geführt haben (sog. Quotenverringerungsschaden). Der Anspruch kann sich nicht nur gegen Gesellschafter (hier die Antragsgegnerin zu 1)) oder Organe der insolventen Schuldnerin, sondern grundsätzlich gegen jeden Dritten (etwa die Antragsgegnerin zu 2)) richten. Dagegen handelt es sich um einen nicht von § 92 S. 1 InsO erfassten Einzelschaden, wenn der Gläubiger nicht als Teil der Gläubigergesamtheit, sondern individuell geschädigt wird (BGH, Urt. v. 19.05.2022 – III ZR 326/20, NZI 2022, 697, 698 Rn. 10; v. 17.12.2020 – IX ZR 21/19, NZI 2021, 173, 174 Rn. 20 f.).
Nach Maßgabe dessen ist ein Gesamtschaden der Insolvenzgläubiger schon nicht hinreichend dargelegt. Der Antragsteller sieht ein schädigendes Verhalten der Antragsgegnerinnen i.S. des § 826 BGB in der Gründung der Schuldnerin ´unter Verschleierung der wahren Herrschaft der Akteure´ sowie der Einsetzung eines ´untauglichen´ Geschäftsführers. Soweit er die Schädigung der Gläubiger darin sieht, dass keine Gläubigerforderungen bestünden, wenn die Errichtung der Schuldnerin unterblieben wäre, handelt es sich um den Kontrahierungsschaden jedes einzelnen Gläubigers und damit um einen Einzelschaden, denn es geht nicht darum, dass sich die Insolvenzquote für alle Gläubiger verringert hat. Der Schaden soll vielmehr darin liegen, dass der Gläubiger überhaupt Geschäfte mit der Schuldnerin gemacht und an diese eine Leistung erbracht hat. Soweit der Antragsteller demgegenüber einen Gesamtschaden geltend machen möchte, hat er schon nicht schlüssig dargelegt, dass insoweit durch ein deliktisches Verhalten die Insolvenzmasse verkürzt wurde. Sein diesbezüglicher Vortrag ist bereits widersprüchlich, da er einerseits das Vorliegen einer Treuhandabrede ausdrücklich in Abrede stellt, andererseits es gerade als sittenwidrig ansieht, dass die Antragsgegnerinnen den Namen des ´wahren Gründers´ der Schuldnerin verschleiert haben sollen. Dass jemand eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gründet und dabei die Geschäftsanteile treuhänderisch für eine andere, nicht genannte Person hält, ist jedenfalls ein im Geschäftsleben nicht unüblicher Vorgang und als solcher rechtlich nicht bedenklich (vgl. BGH, Urt. v. 19.04.1999 – II ZR 365/97, NZG 1999, 656). Dass hierfür eine Vergütung gezahlt wird, ist ebenfalls nicht unüblich (vgl. z.B. BeckFormB BHW/Wentrup, 14. Aufl. 2022, IX. 21. Treuhandvertrag über einen Geschäftsanteil).
Soweit es um die Einsetzung eines angeblich ´untauglichen´ Geschäftsführers geht, enthält § 6 Abs. 5 GmbHG einen eigenen Haftungstatbestand für Auswahlverschulden der Gesellschafter. Danach haften Gesellschafter, die vorsätzlich oder grob fahrlässig einer Person, die nicht Geschäftsführer sein kann (§ 6 Abs. 2 GmbHG), die Führung der Geschäfte überlassen, der Gesellschaft solidarisch für den Schaden, der dadurch entsteht, dass diese Person die ihr gegenüber der Gesellschaft bestehenden Obliegenheiten verletzt. Die Haftung ist als Innenhaftung ausgestaltet, der Schadensersatzanspruch steht der Gesellschaft zu (MüKoGmbHG/W. Goette, 4. Aufl. 2022, § 6 Rn. 49). Dass der bestellte Geschäftsführer A. entweder schon nicht die allgemeinen Anforderungen an eine Tätigkeit als Geschäftsführer (§ 6 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 GmbHG) erfüllt hat, oder dass in seiner Person Ausschlussgründe i.S.d. § 6 Abs. 2 S. 2 bis 4 GmbHG vorlagen, hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Gleiches gilt für den nach seiner Darstellung als faktischer Geschäftsführer tätig gewordenen H. Abgesehen von § 6 Abs. 5 GmbHG haften die Gesellschafter – bis zur Grenze des § 826 BGB – auch nicht, wenn sie einen unzuverlässigen und/oder fachlich nicht geeigneten Geschäftsführer bestellen, dieser seine Leitungspflichten verletzt und der Gesellschaft hierdurch Schaden entstanden ist (vgl. Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 6 Rn. 40; Wicke, GmbHG, 4. Aufl. 2020, § 6 Rn. 20). Ein sittenwidriges Verhalten ist nicht darin zu sehen, dass die Antragsgegnerin zu 1) die Auswahl des Geschäftsführers nicht selbst vorgenommen, sondern diese dem wirtschaftlichen Inhaber der Geschäftsanteile der Schuldnerin überlassen hat. Es entspricht vielmehr einer üblichen Vertragsgestaltung, dass der Treuhänder verpflichtet ist, die ihm als Gesellschafter nach außen zustehenden Rechte nur nach den Weisungen des Treugebers auszuüben. Nach der Darstellung des Antragstellers war es ohnehin nicht der Geschäftsführer A., der die Geschäfte der Schuldnerin geführt hat, sondern der mutmaßliche Hintermann H. Die Antragsgegnerinnen weisen zudem zutreffend darauf hin, dass der Antragsteller sich insoweit lediglich auf vage Vermutungen und Unterstellungen stützt, wenn er geltend macht, wegen der ´Verschleierung´ der wahren Akteure sei davon auszugehen, dass die Gründung der Schuldnerin von Anfang an darauf ausgerichtet gewesen sei, diese insolvent werden zu lassen. Tatsachen werden hierzu nicht vorgetragen.
Darüber hinaus fehlt es aber auch an einer von § 92 InsO vorausgesetzten Verkürzung der Insolvenzmasse durch das vermeintlich sittenwidrige Verhalten. Weder die Gründung der Schuldnerin noch die Bestellung des Geschäftsführers A. hat zu einer Verkürzung der Aktivmasse geführt oder Verbindlichkeiten der Schuldnerin erhöht. Nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers ist das Stammkapital der Schuldnerin von zunächst 3.000 € (Gründung der UG) und sodann weiteren 22.000 € (Umwandlung in GmbH) eingezahlt worden. Damit stand der Schuldnerin das gesetzliche Haftungskapital zur Verfügung. Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, die Antragsgegnerinnen hätten ´mit der anfänglichen Verhinderung des Zugriffs auf die wahren Akteure bzw. deren Haftung´ das Vermögen der Schuldnerin vermindert, weil sie bereits anfänglich erfolgreich verhindert hätten, dass Haftungsmasse oder Haftungsvermögen als Zugriffsmöglichkeit für die Gläubiger besteht bzw. entstehen könnte. Zwar gehören zur Insolvenzmasse auch alle Ansprüche der Gesellschaft gegen Mitglieder der Verwaltung, hier also gegen den Geschäftsführer, wobei dies auch der faktische Geschäftsführer sein kann, wenn er nach außen aufgetreten ist (Uhlenbruck/Hirte/Praß, InsO, 15. Aufl. 2019, § 35 Rn. 323, 330; MüKoInsO/Peters, 4. Aufl. 2019, § 35 Rn. 283). Diese entstehen jedoch erst mit dem haftungsbegründenden Verhalten des Verwaltungsorgans. Bei einem künftigen Vermögen liegt eine Gläubigerbenachteiligung durch Verkürzung der (potentiellen) Insolvenzmasse nur dann vor, wenn der Schuldner insoweit bereits eine gesicherte Rechtsposition hatte. Der Verlust einer rechtlich ungesicherten Erwerbsaussicht beeinträchtigt die Gläubiger hingegen nicht (vgl. MüKoInsO/Kayser/Freudenberg, a.a.O., § 129 Rn. 82). Daher kann eine ´Verhinderung des Entstehens von Haftungsmasse´ bei Gründung der Schuldnerin nicht mit einer Verkürzung der Aktivmasse gleichgesetzt werden. Die Gläubiger haben grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass ein solventer Geschäftsführer bestellt wird, der im Falle einer schuldhaften Pflichtverletzung (§ 43 Abs. 2 GmbHG) bzw. einer etwaigen Insolvenzverschleppung die dadurch eintretende Masseverkürzung (§ 15b Abs. 4 InsO bzw. § 64 GmbHG aF) finanziell ausgleichen kann. Soweit es um Ansprüche gegen den vermeintlichen Hintermann H. geht, ist der Antragsteller zudem auch nicht gehindert, Ansprüche gegen diesen zu verfolgen, wenn er als faktischer Geschäftsführer nach außen hin aufgetreten ist. Sollten diese Ansprüche – wovon der Antragsteller ausweislich der Klageschrift wohl ausgeht – im Hinblick auf dessen ´schlechte Bonität´ nicht werthaltig sein, wäre auch das kein Fall einer sittenwidrigen Schädigung durch die Gründung der Schuldnerin, solange das Stammkapital eingezahlt ist, da die Gläubiger einer GmbH grundsätzlich nicht davon ausgehen können, dass für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft notfalls ein solventer Gesellschafter (vgl. § 13 Abs. 2 GmbHG) oder ein solventer Geschäftsführer eintritt.
- Bei dieser Sachlage scheidet auch ein Anspruch gegen die Antragsgegnerinnen unter dem Gesichtspunkt des existenzvernichtenden Eingriffs, bei dem es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht um einen Gesamtschaden(sersatzanspruch) der Gläubiger gemäß § 92 InsO, sondern um einen Anspruch der Gesellschaft handelt (vgl. BeckOK BGB/Förster, 63. Ed. 1.8.2022, § 826 Rn. 120), aus.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein zum Schadensersatz nach § 826 BGB verpflichtender existenzvernichtender Eingriff dann vor, wenn der Gesellschaft von ihren Gesellschaftern in sittenwidriger Weise das zur Tilgung ihrer Schulden erforderliche Vermögen entzogen und damit eine Insolvenz verursacht oder vertieft wird. Der Entzug des Gesellschaftsvermögens kann auch durch die Erhöhung der Verbindlichkeiten bewirkt werden, wenn hierdurch zielgerichtet und betriebsfremden Zwecken dienend die den Gesellschaftsgläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse verkürzt wird (BGH, Teilversäumnis- und Teilendurt. v. 06.11.2018 – II ZR 199/17, NZG 2019, 187, 190 Rn. 26 f.). Durch eine bloße Schädigung des Gesellschaftsvermögens kann der Tatbestand des existenzvernichtenden Eingriffs als typisierter Fall einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung gem. § 826 BGB hingegen nicht verwirklicht werden. Sittenwidrig ist vielmehr (nur) ein planmäßiger Entzug von Gesellschaftsvermögen zum eigenen Vorteil des Gesellschafters oder unmittelbar oder mittelbar zugunsten eines Dritten. Gerade der Vermögenstransfer ist danach ein die Sittenwidrigkeit des Zugriffs auf das Gesellschaftsvermögen kennzeichnendes Merkmal, weil dieser Ausdruck einer Missachtung des Prinzips der Vermögenstrennung und der Kapitalbindung ist (BGH, a.a.O., S. 191 Rn. 36 ff. mwN).
An einem derartigen Vermögenstransfer fehlt es hier. Mit der geltend gemachten ´Verhinderung der Haftung der wahren Akteure´ wurde kein Vermögen der Schuldnerin auf die Antragsgegnerin zu 1) oder einen Dritten – etwa den vermeintlichen Hintermann H. – übertragen. Insoweit kann auf die Ausführungen zur Verkürzung der Insolvenzmasse bei § 92 InsO verwiesen werden. Darüber hinaus hat das Landgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss zutreffend ausgeführt, dass Voraussetzung einer Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs die Verursachung oder Vertiefung der Insolvenz durch den Vermögensentzug ist. Das Vorliegen dieser Voraussetzung ist auch nach der ergänzenden Beschwerdebegründung nicht feststellbar. Der Antragsteller hat schon zu den Ursachen der Insolvenz der Schuldnerin nichts vorgetragen. Die Argumentation, die ´wahren Akteure´ hätten, wären sie nach außen hin in Erscheinung getreten, unter dem Druck der gesetzlichen Haftung mit Sicherheit ein umsichtiges und ordnungsgemäßes Geschäftsführerverhalten an den Tag gelegt, so dass zu unterstellen sei, dass deutlich geringere Verbindlichkeiten der Schuldnerin vorhanden wären, ist nicht geeignet, eine Insolvenzverursachung oder -vertiefung durch einen Entzug von Gesellschaftsvermögen darzulegen.
- Weitere Anspruchsgrundlagen für eine Ersatzpflicht der Antragsgegnerinnen in Bezug auf die angemeldeten und festgestellten Gläubigerforderungen sind nicht ersichtlich und werden vom Antragsteller auch nicht geltend gemacht.“